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    IV. REAKTIONEN UND KREUZZUGSKRITIK

    Die Nachricht vom Scheitern des Kreuzzuges verbreitete sich schnell in Europa. Die heimkehrenden Veteranen waren erbittert und enttäuscht. Der Vorwurf, die Christen seien verraten worden – ein durchaus berechtigter Einwand – wurde ebenso als Begründung für die Niederlage herangezogen, wie sich tiefes Mißtrauen gegen die eigenen weltlichen wie geistlichen Führer des Kreuzzuges offen Bahn brach. Besonders Bernhard von Clairvaux, der wichtigste Prediger des Unternehmens, wurde zur Zielscheibe der Kritik.

    „Gewisse Pseudo-Propheten“, schmäht der namenlose Chronist der Würzburger Annalen in dieser Zeit, „haben die Christen mit leeren Worten verführt“. Weiter heißt es: „Die Predigt dieser Männer war so enorm einflußreich, daß sich die Einwohner benahe jeder Region, durch gemeinschaftliche Eide, freiwillig für die gemeinsame Vernichtung hingaben“. Selbst die Verfolgung eines höheren Zieles wird den Kreuzfahrern abgesprochen. Sicherlich habe es ein paar wenige gegeben, die „entflammt waren von der Liebe zur göttlichen Majestät, aufopferungsvoll zu kämpfen und sogar ihr Blut zu vergießen für den Heiligsten der Heiligen“, aber die allermeisten Teilnehmer habe nach Meinung der Kritiker ganz profane Gründe auf den Kreuzzug getrieben. So hätten viele Männer aus Gier das Kreuz genommen, andere aus Neugierde, weitere gar auf der Flucht vor Schulden oder strafrechtlicher Verfolgung. Auch der namhafte Theologe und Kirchenreformer Gerhoch von Reichersberg (1092/93–1169), auf seine Weise so rigoros wie Bernhard selbst, stellte sich in die Reihe der schärfsten Kritiker.


    Heimkehrender(?) Kreuzfahrer mit Frau (Kalkstein, aus Belval, 12. Jhdt.).

    Bernhard nahm die Anschuldigungen selbst so ernst, daß er mit einer eigenen Schrift antwortete. In dem zweiten Buch von „De consideratione“ verteidigt er die Entscheidung zum Kreuzzug und seine eigene Rolle in dem Unternehmen. Es sei nicht wahr, daß man überstürzt aufgebrochen sei, vielmehr habe man Gottes Wunsch entsprochen, der durch den Papst ausgesprochen worden sei. Bernhard schreibt an Eugen: „Wir haben uns voll dabei verausgabt, doch nicht ziellos, sondern du gabst den Befehl und durch dich Gott selbst“. Somit war die Vorbereitung des Kreuzzuges nicht Bernhards eigenmächtiges Handeln, sondern der Wille Gottes. Bernhard zieht Parallelen zu Moses, der die Israeliten durch die Wüste führt. Dieser habe sein Volk in das Gelobte Land führen wollen, aber trotz göttlichem Auftrag sei die Mission fast gescheitert, weil seine Schützlinge sich nicht angemessen verhalten hätten. „Doch dieses Volk [...] war störrisch und widersetzte sich ständig dem Herrn und Mose, seinem Knecht“. Genauso „ungläubig und rebellisch“ wie die Israeliten habe sich die Schar der Kreuzfahrer verhalten, schließt Bernhard, und daher sei die Mission eben gescheitert. So weist der Prediger von Clairvaux wortgewandt und bibelfest die Verantwortung von sich. Zusammengefaßt verteidigt er sich damit, daß er nur dem Wort Gottes gefolgt sei, indem er im Auftrag seines irdischen Stellvertreters, des Papstes, gehandelt habe. Dazu kämen noch die Sünden der Kreuzfahrer, die sich an ihnen gerächt hätten. Er sieht sich sogar als Schild Gottes: „Gerne fange ich die Schmähungen der Verleumder und die Giftpfeile der Lästerer auf, damit sie nicht ihn treffen!“.

    Letztendlich stand Bernhard wie der Fels in der Brandung der Kritik, ja, er wollte die Christen sogar zu einem weiteren Kreuzzug ermuntern. Doch die europäischen Fürsten wollten nicht mehr. Zu tief saß die Enttäuschung, zu hoch war der Blutzoll auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens ausgefallen. Am Ende seines Lebens solte Bernhard mit eifriger Akribie seine Schriften neu zusammenstellen, um sein Lebenswerk als komplette Sammlung der Nachwelt zu hinterlassen. Nur einige Schriften ließ er dabei wohlweislich aus, weil sie vielleicht doch seinen Ruhm schmälern könnten. Es waren die Aufrufe zum Kreuzzug.




    Autor: Oliver Borgwardt


    Literatur und Quellen


    QUELLEN
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