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    III.1. DAS HEILIGE LAND 1148: DESASTER VOR DAMASKUS

    In den Kreuzfahrerstaaten hatte sich seit der Eroberung Edessas die für die Christen bedrückende Lage nicht sonderlich geändert. Der letzte Versuch, die verlorene Stadt ohne die Hilfe der Kreuzfahrer einzunehmen, war noch vor dem Auszug Ludwigs und Konrads erfolgt. Im Oktober 1146 war es dem Grafen von Edessa, Josselin II., noch einmal gelungen, seine Stadt unter christliche Kontrolle zu bringen. Nuraddin Zangi, der Mann, der Josselin knapp zwei Jahre zuvor aus Edessa vertrieben hatte, war kurz zuvor ermordet worden. Dessen Sohn, Nur ad-Din, war aber nicht etwa ein weniger gefährlicher Gegner, als es der alte Atabeq gewesen war. Vielmehr mußte sich der neue Mann in Aleppo nicht mehr um den instabilen Osten des Reiches sorgen, den seinem Vater stets bei seinen strategischen Überlegungen berücksichtigen mußte. Da das nach dem Tode Zangis von Unruhen erschütterte Mossul von seinem Bruder Sarif verwaltet wurde, konnte sich Nur ad-Din ganz den Herausforderungen in Syrien stellen. Nach nur einem Monat war der älteste Kreuzfahrerstaat wieder fest in seldschukischer Hand, sehr zum Leidwesen der jakobitischen und armenischen Bevölkerungsteile, unter denen die Truppen Nur ad- Dins viele Opfer forderten. Seit dem Scheitern von Josselins Feldzug war es zu keinen größeren Kampfhandlungen mehr gekommen. Beide Seiten warteten mit ihrem nächsten Zug, bis die Kreuzfahrerheere im Nahen Osten angekommen waren.


    Seldschukische Kavallerie in einer Schnitzerei aus dem Iran, 12.Jhdt.

    Als Ludwig im März 1148 mit den Resten seiner Truppen im Hafen von Antiochia einlief, wurde er dort bereits freudig erwartet. Raimund von Poitiers, ein Onkel von Ludwigs Ehefrau Eleonore und Fürst von Antiochia, nahm die Franzosen sehr gastfreundlich auf. Nicht nur der Anstand und der Respekt vor der französischen Krone spielten eine Rolle bei der freundlichen Begrüßung, sondern auch ganz eigene Pläne des Fürsten. Raimund sah in der Ankunft Ludwigs eine willkommene Gelegenheit, mit einem gemeinsamen Feldzug gegen Aleppo seine eigene Nordgrenze zu entlasten.

    Wie Raimund, so ersuchten sogleich auch andere Fürsten den König, sich an ihren jeweils für vorrangig erachteten Kriegszügen zu beteiligen. Ludwig ließ sich allerdings nicht darauf ein, sondern zog zunächst nach Süden, um in Jerusalem die heiligen Stätten zu besuchen und so einem Teil seines Kreuzfahrereides zu entsprechen. Vielleicht wollte er auch räumlichen Abstand zu Raimund gewinnen, da Gerüchte über eine angebliche Affäre Eleonores mit ihrem Verwandten die Runde machten. In der Heiligen Stadt wartete schon der inzwischen wieder genesene deutsche König auf ihn. Konrad hatte sich im Frühjahr 1148 in Konstantinopel auf die Reise gemacht und war im April in Jerusalem angekommen, wo er sich mit Otto von Freising und dessen restlichen Männern sammelte. Im Gepäck hatte Konrad byzantinisches Geld, ein Abschiedsgeschenk seines Gastgebers Manuel. Mit diesem Gold hoffte der deutsche König, neue Truppen für die kommenden Aufgaben rekrutieren zu können. Allerdings mußte er sich bei seinen Bemühungen, in Akkon neue Männer für einen Zug nach Edessa zu gewinnen, einem schnell deutlich werdenden Problem stellen. Die meisten Soldaten, die bereit waren, sich für den Krieg unter Sold nehmen zu lassen, waren Saisonpilger, die vor dem Winter wieder nach Hause reisen wollten. Edessa war aber zu weit entfernt, um in der knappen Zeit eine umfangreiche Belagerung durchzuführen.

    Während Ludwig die heiligen Stätten besuchte und zudem noch Verstärkung von Kreuzfahrern aus der Provence bekam, die zu dieser Zeit in den Kreuzfahrerstaaten ankamen, trat Konrad in geheime Verhandlungen mit dem König von Jerusalem, Balduin III., ein. Der junge Monarch, der zu diesem Zeitpunkt erst 18 Jahre alt war und trotz seiner Mündigkeit noch immer von seiner Mutter, Königin Melisendis, bevormundet wurde, drängte auf eine Eroberung von Damaskus. Vielleicht erhoffte er sich durch eine Befreiung der Stadt des Heiligen Paulus aus den Händen der Muslime einen solchen Prestigegewinn, daß er sich endlich gegen Melisendis, die nach dem Tode ihres Mannes die Regierungsgeschäfte auch im Namen des unmündigen Balduin übernommen hatte, durchsetzen könnte. Damaskus indes war aber trotz seiner muslimischen Führung kein Feind der Kreuzfahrer, vielmehr war es seit 1139 sogar mit Jerusalem gegen die Seldschuken in Aleppo verbündet und der wohl wichtigste strategische Partner der Christen im Heiligen Land. Nachdem Ludwig seinen religiösen Pflichten nachgekommen war und in Jerusalem an den wichtigsten Pilgerstätten gebetet hatte, war er nun bereit, sich auf eine militärische Unternehmung einzulassen. Über das genaue Ziel bestand allerdings noch Gesprächsbedarf. Am 24. Juni 1148 kamen die Führer des Kreuzzuges bei Palmarea nahe Akkon mit den meisten Fürsten der Kreuzfahrerstaaten, allerdings ohne die Vertreter des syrischen Nordens, zusammen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Nach einiger Debatte fiel die Wahl auf Damaskus, nicht auf Aleppo, wie es Raimund gewünscht hätte. Die ganze Tragweite dieses „grenzenlos dummen“ Beschlusses (MAYER) sollte sich noch zeigen.

    Wenngleich man nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, was Ludwig und Konrad zu diesem Entschluß verleitete, so gab es doch durchaus einige Punkte, die für Damaskus sprachen. So war die uralte Stadt ein wichtiges und wohlhabendes Handelszentrum, und ein Sieg schien durch die räumliche Nähe zu den christlichen Staaten in nicht allzu langer Zeit zu schaffen zu sein. Durch die Befreiung der Stadt des Apostels Paulus hätten die beiden europäischen Könige zudem einen Erfolg vorweisen können, der den enormen Aufwand und die hohen Verluste an Menschenleben vor dem Papst und der heimischen Geistlichkeit hätte rechtfertigen können. Doch alle diese Punkte wogen nicht das Bündnis auf, an dem nicht weniger als die Existenz der Kreuzfahrerstaaten hängen konnte.


    Französische Kreuzfahrer (Templerkirche von Cressac, um 1150).

    Dennoch machte sich ein vereintes Heer aus den deutschen und französischen Kreuzfahrern unter Konrad und Ludwig zusammen mit den Streitkräften verschiedener Kreuzfahrerstaaten, allen voran Jerusalem unter Balduin III., sowie Angehörigen des Templer- und Johanniterordens gemeinsam auf den Weg, um Damaskus zu erobern. Wilhelm von Tyrus, dessen umfangreiches Geschichtswerk zu den wichtigsten Quellen zum Zweiten Kreuzzug zählt, hat die Belagerung sehr ausführlich dargestellt. Als die Kreuzfahrer sich am 24. Juli 1148 ihrem Ziel von Westen her näherten, gelangten sie an die umfangreichen Obstplantagen der Stadt, die von dem im Antilibanon entspringenden Fluß Barada genährt wurden. Ein Gewirr von Bewässerungskanälen durchzog die mit Obstbäumen „wie dichte Wälder oder ein schattiger Forst“ bewachsene Ebene, deren einzelne Felder mit Lehmwällen voneinander getrennt waren. Nur schmale Wirtschaftswege ließen genug Platz für Viehkarren, die die Früchte in die Stadt bringen konnten. „Diese Obstplantagen sind die beste Verteidigung der Stadt“, schreibt Wilhelm. „Wegen ihrer Dichte, wegen der Zahl der Bäume und wegen der Enge der Wege schien es schwer, fast unmöglich, für jene, die sich Damaskus nähern wollten, dies von dieser Seite zu tun“. Dennoch wagte das christliche Heer den Weg durch das agrikulturelle Labyrinth. Zum einen spielte die Versorgung der Männer mit Wasser und Nahrung eine Rolle für die Wahl dieser Anmarschroute, zum anderen hatte man die Damaszener mit der Eroberung ihres wichtigsten Bollwerkes außerhalb der Stadtmauern gleich zu Beginn entmutigen wollen, um so die kommende Belagerung zu vereinfachen. Der Marsch durch die kilometerlangen Plantagen gestaltete sich schwierig, da sich die Moslems gut auf die kommende Bedrohung eingerichtet hatten.

    Der damaszenische Chronist Ibn al-Qalanisi vermerkt, daß der Verwalter von Damaskus, Emir Mu’uin ad Din, seine Befehle frühzeitig nach dem Bekanntwerden des nahenden Heeres gab: „Die Plätze, von denen er fürchtete, daß sie angegriffen würden, wurden befestigt, und Männer wurden entlang der Wege und Pässe aufgestellt. Versorgungswege zu den Positionen der Franken wurden abgeschnitten, Brunnen zugeschüttet und Wasserstellen vergiftet“.

    Die sonst als Grundstücksbegrenzungen und zur Abwehr wilder Tiere errichteten Lehmwälle wurden von den zahlreichen Verteidigern als Deckung benutzt. Wirtschaftsgebäude, die in den Plantagen standen, wurden von Kriegern besetzt und dienten ihnen als Verteidigungsstellung, von denen aus sie die schmalen Wege mit Pfeilen überschütten konnten.

    Nur langsam kam das christliche Heer gegen den geschickt jede Deckung ausnutzenden und zum Teil mit Guerilla-Methoden kämpfenden Gegner voran. Wilhelm berichtet von Muslimen, die sich mit ihren Lanzen in den Wällen verborgen hielten und aus diesem Versteck heraus durch gut getarnte Löcher auf die ahnungslosen Christen einstachen, die sich dem primitiven Bunker zu sehr genähert hatten. „Auf jeder Seite gab es die gleiche Bedrohung für den Unaufmerksamen und die Gefahr eines plötzlichen und unvorhergesehenen Todes“, vermerkt der Chronist. Erst als die Kreuzfahrer mehrere Wälle niedergerissen und die Besatzung einiger Häuser niedergemacht hatten, zogen sich die Muslime hinter die schützenden Wälle von Damaskus zurück. Nun trat die nächste Stufe der Verteidigung in Kraft. Berittene Bogenschützen erwarteten die von der Sommerhitze ausgedörrten und von den Gefechten erschöpften Kreuzfahrer in der Nähe des Flusses. Die Christen versuchten, an das erlösende Naß zu kommen, um ihren Durst zu löschen, wurden aber bei jedem Versuch derart mit Pfeilen und Speeren überschüttet, daß der Vormarsch kurz vor dem Fluß zum Stehen kam. Erst das persönliche Eingreifen des deutschen Königs und eine energische Attacke einiger abgesessener Ritter soll die Feinde laut Wilhelm von Tyrus vom Flußufer vertrieben haben.

    Nach dem Durchbruch an das Ufer konnte das Kreuzfahrerheer sein Lager in günstiger Lage aufbauen und dabei besonders von den Obstplantagen und dem Fluß profitieren. Diese Position hätte sehr vorteilhaft genutzt werden können, um den Sturm auf die Mauern von Damaskus vorzubereiten. Was nun aber folgte, war nicht nur eine geradezu unglaubliche militärische Fehlleistung, sondern auch ein Indiz für die Selbstsucht bestimmter mittelalterlicher Anführer. Die Herren von Damaskus sahen nicht nur die Kreuzfahrer vor ihren Mauern mit Recht als tödliche Bedrohung, sondern nahmen mit Schrecken zur Kenntnis, daß sich Nur ad-Din ebenfalls von Norden her näherte. Vielleicht wäre die Buriden-Dynastie bereits in diesen Tagen erloschen, wenn nicht einige der palästinensischen Barone korrupt und zugänglich für damaszenische Vorschläge gewesen wären. Aufgrund der Furcht vor dem nahenden Seldschukenheer und der Aussicht auf damaszenisches Bestechungsgold entschieden sich einige dieser Männer für die Kollaboration. Wilhelm von Tyrus: „Sie [die Damaszener] überredeten die Barone, die Rolle des Verräters Judas anzunehmen. Korrumpiert durch Geschenke und Versprechen, getrieben durch die Gier, der Wurzel allen Übels, ließen sich die Barone auf das Verbrechen ein“. Mit großer Überzeugungskraft wirkten die Männer auf die Könige ein. Damaskus sei von der gegenüberliegenden Seite viel besser zugänglich, versprachen sie, nur ein schwacher Lehmwall schütze die Stadt an dieser Stelle und keine Obstbäume würden den Aufmarsch behindern. So müsse man nicht einmal Zeit für den Bau von Belagerungsgerät verschwenden, sondern könne die Stadt schon im ersten Ansturm nehmen.


    Südmauern von Damaskus: Viel massiver als der versprochene „schwache Lehmwall“.

    Die Heerführer folgten dem Vorschlag, möglicherweise in der Annahme, die Stadt so lange vor der Ankunft eines möglichen Entsatzheeres einzunehmen. Die Truppen brachen das Lager ab und zogen auf die Südostseite von Damaskus, wo sie sich in einer wasserlosen Ebene wiederfanden. Weder gab es hier die Möglichkeit, in der Umgebung Nahrung zu sammeln, noch waren die Befestigungen der Stadt hier so schwach, wie es zuvor versprochen war. Schon nach kurzer Zeit gingen den christlichen Soldaten die Vorräte aus, da sie in der Hoffnung auf einen schnellen Sieg ohne großen Proviant losgezogen waren.

    Den Anführern hingegen gingen nicht nur die Vorräte, sondern auch die Optionen aus. Eine Rückkehr an den vorherigen Lagerplatz war den Christen von den schnell reagierenden Damaszenern verbaut worden, die die Wege mit Balken, Felsen und anderen Hindernissen verbarrikadiert hatten und diese Sperren mit ihren Truppen streng bewachten. Ohne einen weiteren Kampf, bei dem die Zeit gegen die Kreuzfahrer spielen mußte, war dieser Weg nicht zurückzugewinnen. Die andere Möglichkeit, ein Angriff auf die Stadt selbst, war von dem neuen Lager aus zwar im Prinzip möglich, aber bedurfte umfassender Vorbereitungen, für die ohne Wasser und Nachschub schlicht die Zeit fehlte. Ludwig und Konrad sahen keine Möglichkeit mehr, diese Situation noch zu einem günstigen Ausgang zu bringen. Die Belagerung wurde aufgehoben. Man zog sich zurück, ohne irgend etwas erreicht zu haben, außer das Vertrauensverhältnis zu den buridischen Verbündeten auf das tiefste erschüttert zu haben und den Kreuzzug nun endgültig gescheitert zu sehen. Erbittert zogen sich die Könige, deren hochambitionierte Pläne nun in Trümmern lagen, an die Küste zurück. Noch im September 1148 verließ Konrad per Schiff das Heilige Land, Ludwig folgte ihm im kommenden Frühjahr.




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