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    Im 13. Jahrhundert wurde das bewährte Schleuderprinzip, das der Pierrière zugrundeliegt, auch auf neue Maschinen übertragen, die in ihrer Zerstörungskraft alles bisher dagewesene in den Schatten stellten. Bei den neuen Maschinen, den sogenannten Trebuchets, Bliden oder Triboks, wurde der Schleuderarm nicht mehr durch Muskelkraft bewegt. Diese Aufgabe übernahmen jetzt große Gewichte, die den Arm viel gleichmäßiger und kraftvoller herunterreißen konnten, als es auch trainierte Mannschaften vermocht hätten.


    Trebuchet und Pierrière in den Annales Ianuenses, 1227.

    Mit dieser Technik konnten viel größere Geschosse über weitere Strecken geworfen werden. Auch die Genauigkeit und Leistung der Maschinen war nicht mehr von der mit zunehmender Erschöpfung nachlassenden Körperkraft menschlicher Zugmannschaften angewiesen. Dennoch wurde das Mangonel nicht völlig verdrängt. Die kürzere Reichweite, geringere Durchschlagskraft und größere Ungenauigkeit machten die handbetriebenen Geschütze durch ihre wesentlich höhere Feuergeschwindigkeit und ihrer einfacheren und schnelleren Konstruktion im Felde wieder wett, so daß sie noch eine Weile zusammen mit ihren großen, gegengewichtsbetriebenen Geschwistern im Einsatz blieben.


    Eroberung von Preslaw durch die Byzantiner, in der Chronik von Ioannis Skylitzes (Sizilien, Ende 11. / Anfang 12. Jhdt.)

    Rekonstruktion - Vorbilder und Probleme

    Bei der heutigen Rekonstruktion mittelalterlicher Belagerungsgeschütze steht der moderne Mensch vor einigen Problemen. Keine dieser Maschinen ist uns über die Jahrhunderte erhalten geblieben, auch genaue Konstruktionszeichungen existieren nicht. Man ist größtenteils auf Bildwerke angewiesen, die im Mittelalter aber notorisch ungenau sind. Proportionen und dreidimensionale Darstellungen spielen zu diesem Zeitpunkt noch kaum eine Rolle in der Malerei.


    Die Belagerung von Neapel, wie sie im Liber ad Honorem Augusti dargestellt wird.

    Auf dem oben gezeigten Bild aus dem Liber Ad Honorem Augusti (Italien, Ende 12. Jh.) von Petrus von Eboli ist die Belagerung Neapels dargestellt. Man erkennt zwei Wurfmaschinen, die sowohl von den Angreifern, als auch von den Verteidigern der Stadt eingesetzt werden. Die Größe der Maschinen bleibt aber unklar, da schon die Figuren in Relation zu den Stadtmauern riesig erscheinen. Was man aber aus der Zeichung entnehmen kann, ist die Art, wie die Maschinen bedient werden: Gruppen von Männern (hier sind es zwei bis acht) ziehen an den Seilen, die den Wurfarm in Schwingung bringen. Dieser wird offensichtlich von einer Art Gabel, in der die Drehachse verankert ist, gehalten. Wie genau die einzelnen Teile zusammengefügt sind, zeigt das Bild nicht. Wir wissen aber aus mittelalterlichen Materiallisten, daß große Mengen an Seil für die Konstruktion dieser Geschütze notwendig sind. Auch über die Länge der Schleudertasche und den daran befestigten Seilen kann man hier nur spekulieren - zum Glück ist zumindestens eine Schlinge erhalten (s.o.), die bei der Rekonstruktion als Vorbild dienen konnte.

    Die Pierrière auf dem Syberg, August 2008.
    Im Juni 2008 begann nach langer Planungsphase der Bau einer Pierrière. Es wurde aus Gründen der Transportabilität entschieden, daß das Geschütz eine gewisse Größe nicht überschreiten, aber dennoch voll funktionsfähig sein sollte. Etwa drei Wochen lang schritten die feierabendlichen Arbeiten gut voran, bis schließlich der erste Wurf abgegeben werden konnte. Die Enttäuschung war allerdings groß, denn so wie bei Petrus de Ebolo dargestellt (Wurfarm beim Beladen der Schleudertasche waagerecht) kam das Geschoß nicht richtig in Schwung.


    Nach einigen Experimenten zeigte sich, daß eine optimale Beschleunigung dann erreicht wird, wenn die beladene Schlinge möglichst nah an die Basis des Geschützes gelegt wird. Wird dann der Wurfarm gezogen, beschreibt die Tasche mit dem Geschoß eine gute Kreisbahn und löst sich wie gewünscht am höchsten Punkt (etwa 7m) vom Haken. Die Länge der Schlinge, der Winkel des Hakens und die Kraft und die Beschleunigung, mit der der Arm gezogen wird, stellen allesamt Faktoren dar, die es für einen guten Zielerfolg zu beachten gilt. Erst nach einigen Tests näherten wir uns optimalen Ergebnissen. Die Lernkurve war steil, und schnell erzielten wir gute Weiten und bisweilen auch Volltreffer mit der Pierrière. Als Übungsmunition dienten zunächst aus Sicherheitsgründen etwa zwei Kilogramm schwere Wasserballons, die recht zielgenau verschossen werden können. Tests mit Steinkugeln stehen bislang noch aus, über deren Ergebnisse an dieser Stelle dann zu gegebener Zeit zu lesen sein wird.




    Autor: Oliver Borgwardt


    Literatur und Quellen:
    - ABBO VON SAINT-GERMAIN: De bello Parisiaco.
    - FEUERLE, Mark: Europäischer Wissenstransfer im Zeichen kaiserlicher Machtpolitik. Der Tribok zur Zeit Kaiser Ottos IV, in: HUCKER, Bernd Ulrich u.a. (Hrsg): Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum. Katalog zur Ausstellung, Petersberg 2009.
    - GILLINGHAM, John: Richard Löwenherz. Eine Biographie, Düsseldorf 1981.
    - NICOLLE, David: Medieval Siege Weapons (1). Western Europe AD 585 - 1385. Oxford 2002.
    - ders.: Medieval Siege Weapons (2). Byzantium, the Islamic World and India. Oxford 2003.
    - PETRUS DE EBULO: Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis. Vorliegende Edition: THEO KÖLZER (Hrsg): Eine Bilderchronik der Stauferzeit aus der Burgerbibliothek Bern, Sigmaringen 1994.





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