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    Das Rittertum

    Die Kriegerelite um 1200 - Eine Einführung

    Ritter im Kampf (Hortus Deliciarum. Elsass um 1185, hier als Faksimile vor 1870).
    Entstehung (8. - 9. Jhdt.)
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    as mittelalterliche Rittertum hat seinen Ursprung in den Heeresreformen der Karolinger des 8. und 9. Jahrhunderts. Das ständig expandierende und kriegsführende Reich Karls des Großen war auf hochmobile, gut gerüstete Truppen angewiesen. Für die Infanterie, die noch immer vor allem aus dem bäuerlichen Aufgebot gebildet wurde, waren die Entfernungen von den fränkischen Siedlungszentren zu den Kriegsschauplätzen in der Peripherie nicht mehr in ausreichend schneller Zeit zu überwinden, und so verlagerte sich der Schwerpunkt des Heeres immer mehr hin zur bewaffneten Reiterei.


    Fränkische Panzerreiter (Psalterium Aureum, St. Gallen, vor 883).

    Da die Kosten für Pferd und Rüstung von den meisten Bauern nicht zu leisten waren, wurde die schon vorher deutliche soziale Abgrenzung zwischen Reiter und Fußkämpfer noch einmal signifikant verstärkt. Um möglichst viele Reiter ausheben zu können, wurden weitere Freie mit Gütern und Dienstleuten ausgestatten, damit sie selbst für den Krieg abkömmlich waren. So erlebten die Panzerreiter einen schnellen sozialen Aufstieg, der sie aus dem Bauernstand in die Nähe des Adels rückte.

    Sie alle, Adlige und bewaffnete Dienstleute dienten in der militia, und trotz ähnlicher Ausrüstung waren sie nicht gleichgestellt. In den deutschsprachigen Gebieten hält sich das Konzept des unfreien Dienstmannes, der schwer gerüstet zu Pferd kämpft, in Form des Ministerialentums noch weit bis ins Hochmittelalter hinein.

    Emanzipation des Rittertums
    (Ende 11. / Anfang 12. Jhdt.)
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    ie wohl wichtigste gesellschaftliche Aufwertung des Reiterkriegers, neben seiner Ausstattung mit Lehnsgütern, geht allerdings nicht auf militärische Notwendigkeiten, sondern auf die Konzepte der christlichen Kirche zurück.

    Der miles christianus, der Streiter für die Sache Gottes, war nicht mehr nur Krieger, sondern moralisch erhöhter Verteidiger des Christentums mit einem eigenen Ethos. Die Kirche war bestrebt, die sich in Fehden und territorialen Auseinandersetzungen verzettelnde Kraft des Waffenstandes auf ein höheres Ziel zu kanalisieren und die nova militiae, das neue Rittertum, durchzusetzen.

    Nach dem überwältigenden Erfolg des ersten Kreuzzuges (1096-99) bildeten sich neue Orden, die sich dem Ideal des christlichen Ritters verschrieben. Dieses Ethos fand so prominente Wegbereiter wie Bernhard von Clairvaux (1090-1153), der dem weltlichen Kriegertum ablehnend, ja feindlich gegenüberstand. Der Kontakt mit dem Orient hingegen sorgte beim europäischen Adel weniger für eine besondere Bescheidenheit im Sinne der nova militiae, sondern vielmehr zu einer ausgeprägten Repräsentationsfreude und Ausgestaltung einer neuen ritterlichen Kultur.

    Repräsentation
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    hr bedeckt eure Pferde mit seidenen Decken und eure Panzer mit allen möglichen Überhängen und Tüchern; ihr bemalt die Speere, die Schilde und die Sättel; die Zügel und Sporen schmückt ihr ringsum mit Gold und Silber und Edelsteinen; mit so großer Pracht eilt ihr in beschämender Raserei und schamlosen Stumpfsinn in den Tod. […] Ihr […] laßt euren Haarschmuck nach Weiberart wachsen, wodurch ihr euch noch die Sicht erschwert; ihr verwickelt eure Schritte in lange, kostspielige Hemden, ihr versenkt eure zarten und feinen Hände in weite und wallende Ärmel."


    Adliger in repräsentativer Kleidung (Fécamp Psalter, Normandie Ende 12. Jhdt).

    So schimpft Bernhard von Clairvaux über die Repräsentationslust der europäischen Ritter, die er im Wortspiel weniger als militia, als vielmehr als malitia (Übel) bezeichnete. Tatsächlich hatte sich seit dem Investiturstreit an den Fürstenhöfen eine deutliche Aufwertung des Rittertums vollzogen, die sich nun auch in äußerem Prunk widerspiegelte. Die Mode ist äußerer Ausdruck dieses neuen Standesbewußtseins: Teure und farbenprächtige Kleidung, die nach der in Outremer und in Byzanz begegneten östlichen Sitte, anders als noch im Jahrhundert zuvor, nun auch bei den Männern lang war und der kirchlichen Vorschrift entgegenstehende lange Haarmoden, dazu die besonders bei den Frauen besonders körperbetonenden Kleiderschnitte, bildeten einen sich in ganz Westeuropa rasch ausbreitenden neuen Stil.

    Besonders zur Schau getragen wird die neue Pracht bei den immer beliebter werdenden Turnieren, die den idealisierenden Rittertugenden Tapferkeit, Ehre und Ruhm dienen sollten. Die Erweiterung der antiken Tugenden des Adels, der virtus, war die Einbindung in den christlichen Wertekanon. An den Höfen treffen Kleriker auf die Mitglieder der adligen Oberschicht, und tragen bedeutend zur Vermittlung von Bildung und Erziehung bei. Mit der höfischen Kultur bildete sich die erste christliche Laienkultur des Mittelalters, deren Idealbildnis wir heute noch in den "Chansons de geste", der Ritterepik, wiederfinden.

    Im Krieg
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    urniere und Jagden, der Zeitvertreib des Adels, waren willkommene Übungen für den Krieg. Hier bewies sich der adlige Panzerreiter, so er denn mit seinesgleichen nach seinen Bedingungen kämpfen konnte, als schwer zu besiegende Streitmacht. Ritt die schwere Kavallerie, Knie an Knie und mit gesenkten Lanzen, im Wortsinne in den Feind hinein, so brachen sie die gegnerischen Formationen mühelos auf. In schwierigem Gelände hingegen konnten auch die schwergepanzerten Krieger überwunden werden, wie Deutsche und Franzosen während des Zweiten Kreuzzuges in Anatolien bitter erfahren mußten.


    Krieger in einer deutschen Handschrift aus dem 12. Jahrhundert (Codex Bodmer 127, f.98r).

    Die Rüstung des 12. Jahrhunderts war noch nicht so perfekt, wie in den späteren Jahrhunderten, und bestand im besten Falle im einem langen Ringpanzer- oder Kettenhemd, das erst gegen Ende des Jahrhunderts auch die Hände vollständig bedeckte, und mit Beinlingen aus gleichem Geflecht ergänzt wurden. Als Helm findet sich noch bis weit in die 1190er Jahre hinein der offene Nasalhelm, der sich nach und nach mit der Verbreiterung des Naseneisens zur Maske hin zum Topfhelm des 13. Jahrhunderts entwickelt. So gerüstet, war der Krieger gegen Schnitte gefeit, aber gegnerischen Lanzenstößen und bestimmten Pfeilen immer noch relativ schutzlos ausgeliefert. Entgegen dem Klischee war ein adliger Panzerreiter dank seiner langjährigen Ausbildung in der Lage, sich auch in kompletter Rüstung agil und gefährlich zu bewegen, auch wenn das wattierte Unterzeug (Gambeson) und die geschlossene Gesichtspartie bei sommerlichen Temperaturen zur Last wurden.

    Mit dem Ritter kämpften ganz ähnlich ausgestattete Krieger auf den Schlachtfeldern Europas und des Nahen Ostens, aber die nichtadligen Kämpfer mochten Rüstung und Pferde haben, den gleichen Status besaßen sie nicht. Der Weg in den Ritterstand blieb ihnen aber nicht unbedingt verschlossen. Etwa seit Beginn des 12. Jahrhunderts war die Erhebung in den Ritterstand mit der Schwertleite formalisiert worden. In einer christlich durchdrungenen Zeremonie wurden dem zukünftigen Ritter Waffen und Sporen übergeben. Diese Zeremonie verband nun auf eigentümliche Weise eine schichtenübergreifende, vom einfachen Reiterkrieger zum Hochadel reichende Ritterschaft, setzte sich aber gleichzeitig damit wieder als Elite von gleich gerüsteten, gleich fähigen Männern ab. In seiner Bandbreite von "oben" und "unten", im Widerspruch also zwischen alter Aristokratie und offener Leistungsgemeinschaft, blieb die Ritterschaft nicht ohne innere Spannungen, und die reichen Adligen versuchten ihre Stellung durch noch größeren Prunk hervorzuheben.







    Autor: Oliver Borgwardt


    Literatur und Quellen


    QUELLEN
    BERNHARD VON CLAIRVAUX: Liber ad milites templi, in: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke lateinisch-deutsch. Bd. 1. Hrsg.v. Gerhard B. Witteler. Innsbruck 1990, S. 257-326.


    LITERATUR
    EHLERS, Joachim: Die Ritter. Geschichte und Kultur, S.64ff.
    MAYER, Hans Eberhard: Geschichte der Kreuzzüge, 10. verb. u. erw. Auflage, Stuttgart 2005.