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    II.2. Ausrüstung und Technik

    II.2.1. Die Schiffe

    Kaum ein Gegenstand wird (vielleicht außer den fälschlicherweise für historisch korrekte Kopfbedeckungen gehaltenen Hörnerhelmen) allgemein so mit den Wikingern in Zusammenhang gebracht, wie ihre Schiffe. Man kennt sie als elegante Konstruktionen, die schnell und mit wenig Tiefgang auf allen Gewässern, von flachen Flüssen bis zur Hochsee, eingesetzt werden konnten. Die beiden bekanntesten, weil am umfangreichsten erhaltenen, Exemplare sind die beiden Schiffe von Gokstad und Oseberg.


    Das Osebergschiff während der Ausgrabung, 1904.

    Ersteres wurde im Jahre 1880 in einem Hügelgrab nahe der namensgebenden Ortschaft Gokstad in Norwegen entdeckt. Das auf die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts datierte Wasserfahrzeug war nicht das erste Wikingerschiff, das im 19. Jahrhundert durch archäologische Ausgrabungen an die Oberfläche befördert wurde. Nur wenige Jahre zuvor, anno 1867, hatte man unweit des Oslofjordes bei Rolvsöy ein Schiff inmitten eines Lehmhügels gefunden. Der Mast bei diesem als Tune-Schiff bekannt gewordenen Fund stand noch aufrecht an seinem Platz. Die umgebende Erdschicht aus Blaulehm hatte das nach dendrochronologischen Erkenntnissen 910 gefällte Holz der Planken vor dem gröbsten Einfluß der Zeit geschützt.

    Blaulehm hatte auch das Gokstadschiff rund ein Jahrtausend lang konserviert. Das neu entdeckte Schiff war deutlich größer (23,24m lang, max. 5,20m breit) als jenes bei Tune (20m lang, max. 4,35 m breit). Als man das Fahrzeug später mit dem 1903 entdeckten Osebergschiff verglich, stellte man fest, daß das Gokstad wohl hochseetauglich, das etwas kleinere (23,24m lang, max. 5,10m breit) Osebergschiff hingegen eher ein Küstenfahrzeug war.
    Gemein war den beiden Schiffsgräbern die umfangreiche Ausstattung. Man fand Waffen, Schmuck, kostbar verzierten Hausrat und kunstvoll geschnitzte Holzgegenstände. Innerhalb eines halben Jahrhunderts hatte sich allein durch diese drei Schiffsfunde die Erkenntnislage über die skandinavischen Seefahrer signifikant verbessert.


    Das Gokstadschiff am Fundort, 1880.

    Deutlich wurde nun auch, als man gleich mehrere Schiffe in gutem Erhaltungszustand untersuchen konnte, wie sehr die Geschichte der Wikinger von ihrer fortschrittlichen Schiffsbautechnik abhängig war. Ohne die schnellen und gegenüber unstetem Wetter relativ unempfindlichen Fahrzeuge wären die Möglichkeiten der Skandinavier, in Europa schnelle Überfälle auszuführen, weitaus geringer gewesen.
    Die Langschiffe des 8. - 10. Jahrhunderts stellten einen Höhepunkt in der Schiffsbautechnik dar, die in Skandinavien zuvor den Entwicklungen im südlichen Europa weit hinterhergehinkt war. So lassen etwa überlieferte Bilddarstellungen wie jene auf gotländischen Runensteinen den Schluß zu, daß sich die Wasserfahrzeuge von der Eisenzeit bis etwa zum 6. - 7. Jahrhundert nur unwesentlich verändert hatten. Ihnen fehlte etwa das Segel, das bei Mittelmeerschiffen schon seit Jahrhunderten in Gebrauch war; statt dessen sorgte man mit Paddeln oder Rudern für den nötigen Vortrieb. Mit der Einführung von Mast und Segel revolutionierte sich die skandinavische Schiffsbautechnik. Die Fahrzeuge wurden weiterhin für den Betrieb mit Rudern ausgestattet, die Formgebung und die Rumpfgestaltung wurden nun aber auf das Segeln optimiert. Regionale Unterschiede blieben bestehen, so waren die norwegischen Schiffe etwa relativ breit, dänische Schiffe in Relation zu ihrer Länge eher schmaler.

    Bei den meisten untersuchten Schiffen war auffällig, daß es vor dem 10. Jahrhundert offenbar keine größeren Unterschiede zwischen Kriegs- und Handelsschiffen gegeben hatte. Bauspezifische Abweichungen kamen erst nach dieser Zeit auf, und bald konnte man die für den Krieg gebauten Fahrzeuge gut von ihren zivilen Schwestern unterscheiden. Sie waren meist länger und schmaler, also mehr auf Geschwindigkeit und weniger auf Laderaum getrimmt. Handelsschiffe verließen sich, nicht zuletzt wegen der kleineren Besatzung, mehr auf ihr Segel. Kriegsschiffe hingegen verfügten ohnehin über mehr manpower und konnten so ihre Ruder effektiv zum zusätzlichen Vortrieb nutzen. Die baulichen Unterschiede und der Zweck, für den die Schiffe gebaut wurden, spiegelten sich auch in den Bezeichnungen wieder, die die Wikinger ihren Wasserfahrzeugen zuwiesen. Kriegsschiffe aller Art wurden nach ihrer langgestreckten Form als "langskip" bezeichnet, Handelsschiffe als "knarrs" oder "kaupskips".


    Wikinger- und normannische Schiffe. 1: Osebergschiff, Norwegen, frühes 9. Jahrhundert. 2: Mora, Flaggschiff Wilhelm des Eroberers (um 1066). 3: dänisches skuldelev (Handelsschiff), spätes 10. Jahrhundert.

    Ein häufig angeführtes und in ihrer Wirkung auf die überfallenen Menschen nicht zu unterschätzendes Detail der Schiffe waren die häufig am Bug befestigten Drachenköpfe oder vergleichbar abschreckenden Schnitzereien. Zu dem so bestärkten Vergleich des langen Schiffs mit Ungeheuern passen auch die Namen ins Bild, die viele der Schiffe trugen. So nannte der norwegische König Olaf Tryggvason (994-1000) sein Flaggschiff "Lange Schlange" (ormr inn langi). Sein späterer Amtskollege Harald Hardraada ließ 1062 seinen "Großen Drachen" mit nicht weniger als 35 Ruderbänken (übliche Schiffe hatten zu dieser Zeit 20-25) zu Wasser, der nicht nur einen Drachenkopf am Bug, sondern auch einen Drachenschwanz am Heck trug. Von dem Drachenkopf am Schiff Wilhelm des Eroberers, der "Mora", ist uns auf dem Teppich von Bayeux ein recht genaues Bild überliefert.


    Bugdrachen auf dem Teppich von Bayeux (11. Jhdt.).

    Wie sehr die Wikinger von der erschreckenden Wirkung dieser Verzierungen überzeugt waren, mag man anhand des isländischen Gesetzes belegen, das die Abnahme der Bugdrachen vor dem Anlegen im Hafen verlangte. Man fürchtete, diese könnten sonst die guten Geister der Insel in die Flucht schlagen . Noch bei der Landung der Normannen in England im Herbst 1066 folgte man diesem Brauch, wenn man dem Bayeuxteppich glauben will. Dort nämlich fehlen den dargestellten Schiffen nach der Landung sämtliche Bugdrachen, die sie während der Fahrt noch aufgesteckt hatten.

    Schnelle, unheimlich dekorierte Schiffe trugen also die Wikinger zu ihrer Beute. Ihr Erfolgsgeheimnis war vor allem jene Taktik des im modernen Militärjargon gerne als "hit and run" beschriebenen schnellen Überfalls. Die schlanken Boote fuhren bis auf den Strand oder an das Ufer, die Mannschaften sprangen ab und führten einen schnellen Schlag gegen leicht oder gar nicht befestigte Siedlungen. Nachdem der Widerstand niedergekämpft und die Beute zusammengebracht worden war, zogen sich die Männer wieder auf die Schiffe zurück und suchten die Sicherheit des offenen Meeres, wo ihre Fahrzeuge von den Booten anderer Völker kaum eingeholt und somit auch nicht wirksam bekämpft werden konnten.

    Diese Taktik war vor allem deswegen nötig, da die leicht bewaffneten und nur selten gepanzerten Mannschaften der Wikingerschiffe schwereren Truppen oder Reitern im Nahkampf in der Regel sowohl zahlenmäßig als auch in der Ausrüstung unterlegen waren.
    So bestand die Standardbewaffnung der Wikinger in den frühen Jahren des viking age zumeist aus wenigen leichten Waffen, die von ihrem Ursprung her oft noch Jagd- oder Werkzeugcharakter hatten.




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