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    IV. STILMITTEL

    Nicht nur die Figuren selbst, sondern auch die sie umgebenden und prägenden Stilmittel helfen beim tieferen Verständnis des Werkes. Die Anordnung von Menschen und Szenen, Handgesten und Körpersprache, und nicht zuletzt auch die oft nur dezent angedeuteten Überleitungen beschreiben widerkehrende Muster oder heben bestimmte Situationen besonders hervor. Einige der wichtigsten Stilmittel sind im Folgenden beschrieben.


    Abb 09: Die Figuren überlappen von links nach rechts, hier am Beispiel von Reitern zu sehen.

    Abb 10: Schlüsselfiguren, wie hier Wilhelm, werden niemals überdeckt, selbst wenn sie so das Muster der Überlappung brechen.



    IV.1.Überlappungen

    Die Gestaltung von Überlappungen von Figuren und Gegenständen folgt ihren eigenen Regeln. Üblicherweise erfolgt die überlappende Darstellung in Leserichtung von links nach rechts (Abb.09). Je weiter rechts also etwas abgebildet ist, desto weiter ist es in den Hintergrund gerückt.

    Allerdings gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel. Besonders deutlich wird dies, wenn für die Geschichte wichtige und hochrangige Personen wie William, Edward, Harold oder Odo dargestellt sind (Abb.10). Diese Schlüsselpersonen werden auf dem Teppich von Bayeux nie von anderen Figuren überdeckt (auch wenn das nicht unbedingt für ihre Reittiere gilt), und die Anordnung anderer Figuren kann zugunsten dieser Priorität umgekehrt werden (Überlappung rechts über links).




    IV.2.Trennen und Verbinden von Szenen

    Große Strukturen oder Bäume dienen oft dazu, Szenen auseinanderzuhalten. Verbindungen zwischen zwei Szenen werden hingegen durch die Schrift, sich bewegende Tiere oder durch fortlaufende Geschichten in den Randleisten symbolisiert.

    Soll eine sich über mehrere Szenen erstreckende Handlung, wie etwa eine Reise, dargestellt werden, so kann zum Beispiel der stilisiert als Linie dargestellte Boden als Verbindung zwischen den einzelnen Abschnitten dienen. Bisweilen ragt diese Linie auch von rechts in frühere Darstellungen hinein und verknüpft beide miteinander. Als weitere Verknüpfungen dienen Tiere (z.B. Hunde), Gesten, Soldaten oder die Überschriften, die sich über zwei Szenen ziehen können.




    IV.3.Symbole und Gesten

    Der Künstler, der den Teppich entwarf, benutzte gängige Symbole zur Verdeutlichung einzelner Elemente, die ansonsten schwer zu verstehen wären. Ein einfaches Beispiel wäre das Kreuz auf dem Dach, das das Gebäude in Szene 3 als Kirche ausweist, sowie Segensgesten, Tierfiguren an den Thronsesseln der Herrschenden, und die nach oben gerichtete Schwertspitze bei rechtmäßig Herrschenden (Abb.11).


    Abb. 11: Gesenktes Schwert und Schnauzbart bei Harold, nach oben gerichtetes Schwert, ausrasierter Nacken bei Graf Wido

    Gesten und Handbewegungen scheinen vom Künstler gezielt eingesetzt worden zu sein, um Informationen zu vermitteln, die in dem begleitenden Text keinen Eingang finden. Wie verschlüsselt diese Botschaften für den modernen Betrachter sein können, zeigt etwa Szene 3. Vor der Abfahrt nach Frankreich sitzt Harald an einer Tafel in Bosham (Abb.12). Während seine Männer ringsherum essen und trinken, unterhält sich Harald mit einem anderen Mann: "Sie sind im Profil wiedergegeben und sitzen einander mit eifrigen Handbewegungen gegenüber, während Harald seine Worte mit einem Zeigefinger auf dem Tisch unterstreicht. Dies ist eindeutig keine Tischkonversation! Die beiden sprechen ernsthaft miteinander - aber worüber?" fragte sich auch die dänische Kunsthistorikerin Lise Gotfredsen.


    Abb 12: Tischgespräch in Bosham.

    Folgt man ihrer Interpretation, so ist die Szene wie folgt zu entschlüsseln: Die Darstellung eines Kreises zwischen den beiden Männern ist analog zu der in der im Bildrand abgebildeten Fabel vom Fuchs und vom Raben zu sehen (siehe auch Abschnitt Sagen). Hier schwebt der Käse in Form einer Kugel zwischen dem Fuchs und dem Raben in der Luft - und noch ist nicht abzusehen, wer der Gewinner sein wird. Demnach wäre der Gegenstand des Gespräches (am Tisch) gleichzeitig der Gegenstand des Disputes - symbolisch wäre das also England. Die Bedeutung des Gespräches wird dazu noch durch die Art des Trinkgefäßes in der Hand von Harald verstärkt - ein Kelch, im Gegensatz zu den Trinkhörnern, mit denen seine Männer feiern.

    Auch die allgemeine Körperhaltung kann mehr aussagen, als der begleitende lateinische Text. Anschaulich wird das in Szene 25, als Harald vor König Edward tritt (Abb.13). Den Kopf tief gebeugt, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, demonstriert er nach der Deutung von Gofredsen seine Unterwürfigkeit und Scham, da seine Mission in die Normandie offensichtlich fehlgeschlagen ist: "Harald gibt ein gutes Beispiel ab für einen Menschen in der Haltung eines Verschwörers mit schlechtem Gewissen. Er ist lang und dünn mit eingeknickten Knien, schiebt die Schultern waagerecht vor, zieht den Kopf ein wie eine Schildkröte und gestikuliert mit seinen Händen, während sein Gesicht zwischen Reue und Demut schwankt" (GOTFREDSEN).


    Abb. 13: Harold erscheint demütig vor Edward (Szene 25).



    IV.4. Äußere Merkmale


    Abb. 14: Die Stoffstreifen an Wilhelms Mantel könnten als Herrschaftsinsignien gelesen werden
    Darstellung Knuts des Großen mit ähnlicher Tracht (Liber Vitae, Winchester, um 1031).

    Die Figuren auf dem Teppich sind auf den ersten Blick zwar sehr ähnlich zueinander, allerdings gibt es auch schon bei der äußeren Gestaltung kleine, aber deutliche Unterschiede. So werden die Normannen, so sie denn in ziviler Kleidung dargestellt sind, mit ausgeschorenem Nacken und glattrasiert gezeigt. Die Angelsachsen hingegen tragen volles Haar und Schnauzbärte, zudem ist ihre Kleidung oft etwas kürzer dargestellt.

    Der Status der Personen kann auch anhand der Tracht erkannt werden. So dienen nicht nur Kronen oder Rangabzeichen als Hinweise, sondern auch halbkreisförmige Mäntel, die im ganzen Mittelalter als deutliches Symbol von Reichtum verstanden werden konnten. Diese Symbole waren auch für den Laien aufgrund seiner Lebenswelt und Erfahrung sofort verständlich, da einfache Bauern keine Mäntel trugen und sich nur reiche Menschen den teuren Stoff in dieser Breite leisten konnten. Wilhelm ist dabei die einzige Figur auf dem Werk, dessen Mantel zudem noch mit Stoffapplikationen (Borten) verziert ist (Szene 13).

    Ein Detail an seiner Kleidung ist in der gleichen Szene noch interessant: Auf Höhe seines Halses wehen zwei längere Bänder von seinem Mantel nach hinten (Abb.14). Diese Stoffstreifen können laut der Kuratorin des Dänischen Nationalmuseums, Sissel PLATHE, in die Tradition ähnlicher Zierbänder gesehen werden, die auch schon auf Abbildungen Knut des Großen auftauchen. Folgt man dieser Interpretation, so würde die Darstellung dieser Zierstreifen als Herrschaftsinsignien auf den Thronanspruch Wilhelms hindeuten. An Harolds Kleidung sind solche Details nicht dargestellt.




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